31.10.2024

European Accessibility Act: Das müssen Sie wissen

Der European Accessibility Act (EAA) setzt ab 2025 neue Standards für digitale Barrierefreiheit in der EU. Der EAA bringt wesentliche Änderungen für alle, die digitale Inhalte bereitstellen - auch für uns in der Schweiz. Mit klaren Anforderungen soll sichergestellt werden, dass Websites und digitale Services für alle Nutzer zugänglich sind – unabhängig von individuellen Einschränkungen. 

FAQ statt klassischer Blog-Beitrag & Fokus auf Weblösungen

Wir haben uns entschieden, statt eines klassischen Blog-Beitrags ein FAQ-Format zu wählen. Dieses Format ermöglicht den Leserinnen und Lesern einen schnellen Zugang zu den wichtigsten Informationen. Der European Accessibility Act bringt spezifische Anforderungen und Fragen mit sich, die in einem FAQ präzise und kompakt beantwortet werden können. So erhalten Sie die zentralen Fakten auf einen Blick und finden direkt Antworten auf konkrete Fragen. Ideal für alle, die sich schnell und unkompliziert über die neuen Anforderungen informieren möchten.

Die Antworten auf die dringendsten Fragen haben wir nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert (Stand: 27.10.2024). Dabei mussten wir mehrfach feststellen, dass die uns zur Verfügung stehenden Informationen teilweise falsch, reisserisch oder zumindest ungenau waren. Natürlich erheben wir den Anspruch das besser zu machen. Ob uns das gelungen ist, können Sie uns sehr gerne wissen lassenFür die Klärung spezifischer rechtlicher Anliegen empfehlen wir die Konsultation eines qualifizierten Rechtsanwalts.

In diesem FAQ haben wir uns auf die dringlichsten Fragen rund um Weblösungen, also Websites, Shops und Web-Applikationen fokussiert. Wir erheben demnach keinen Anspruch alle digitalen Lösungen mit diesem FAQ abzudecken.

Und ja, es ist uns bewusst, dass unsere eigene Website nicht unbedingt mit gutem Beispiel bezüglich Zugänglichkeit vorangeht. Selbstverständlich werden wir das sukzessive angehen und optimieren.

Was ist der European Accessibility Act (EAA)?

Der European Accessibility Act (EAA) ist eine EU-Richtlinie, die Barrierefreiheit für bestimmte Produkte und Dienstleistungen fördern soll. Sie wurde 2019 verabschiedet und soll sicherstellen, dass alle Bürger:innen, einschliesslich Menschen mit Behinderungen, Zugang zu wichtigen Produkten und Dienstleistungen haben.

Die Anforderungen umfassen nicht nur die digitale Barrierefreiheit, sondern auch physische Barrieren bei Produkten und Automaten, um allen Nutzer:innen eine einheitliche und zugängliche Erfahrung zu bieten.

Der EAA entspricht der «Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen», welche hier nachgelesen werden kann: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2019/882/oj?locale=de

Ab wann müssen Weblösungen den EAA-Anforderungen entsprechen?

Ab 28. Juni 2025 müssen Websites, Shops und Web-Applikationen in der EU barrierefrei gestaltet sein, um den EAA-Anforderungen zu entsprechen. 

Gibt es eine Übergangsfrist?

Für bestehende «Dienstleistungen unter dem Einsatz von Produkten», die vor dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht wurden, gilt eine verlängerte Übergangsfrist bis zum 27. Juni 2030. Diese fünfjährige Frist soll Unternehmen ermöglichen, ihre bestehenden Angebote schrittweise den Barrierefreiheitsanforderungen anzupassen.

Man erbringt «Dienstleistungen unter dem Einsatz von Produkten», wenn eine Dienstleistung mithilfe eines bestimmten Produkts bereitgestellt wird, das für den Zugang oder die Nutzung der Dienstleistung unerlässlich ist. Dies tritt häufig auf, wenn ein Produkt als Schnittstelle dient, über die die Dienstleistung in Anspruch genommen werden kann. Tönt kompliziert? Diese Beispiele machen das Abstrakte greifbar:

  • Bankdienstleistungen über Geldautomaten: Der Geldautomat (das Produkt) ermöglicht es den Kunden, die Bankdienstleistung (z. B. Bargeldabhebung) zu nutzen
  • Selbstbedienungsterminals für Ticketverkäufe oder Check-ins: Das Terminal (Produkt) ermöglicht die Nutzung der Dienstleistung, etwa den Kauf eines Tickets.

Online-Shops und Webseiten fallen also nicht unter «Dienstleistungen unter dem Einsatz von Produkten». Somit gilt für diese keine Übergangsfrist. Da haben sich wohl einige gerade zu früh gefreut ;-)

Welche Bereiche betrifft die EU-Richtlinie?

Der EAA betrifft verschiedene digitale Angebote, darunter:

  • Websites, welche eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr anbieten,
  • Bank- und Finanzdienstleistungen,
  • E-Books und E-Reader,
  • Öffentlicher Verkehr (z. B. Buchungssysteme und Ticketautomaten),
  • Kommunikationsgeräte (wie Smartphones und Tablets) sowie Telekommunikationsdienste,
  • E-Commerce-Websites und -Shops (für Produkte und Dienstleistungen),
  • Öffentliche und private Websites mit wesentlichen Dienstleistungen,
  • Mobile Apps (insbesondere wenn sie Dienstleistungen oder Produkte bieten),
  • Buchungssysteme, wie etwa für Reisen oder Veranstaltungen.

Ob auch Sie von der Richtlinie betroffen sind, finden Sie mit dem interaktiven Check heraus: https://bfsg-gesetz.de/check/

Wann erfüllt man «Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr»?

Elektronischer Geschäftsverkehr ist definiert als Verkauf oder Erwerb von Waren oder Dienstleistungen über das Internet. Ob die Auslieferung/ Erbringung online oder offline erfolgt, ist dabei egal. Nur der Vertragsschluss, wie die Buchung bzw. der Kauf, muss online erfolgen. Erfolgt online nur eine Anfrage, welche der Anbieter manuell und separat noch für einen Vertragsschluss annehmen muss, fällt dies nicht mehr darunter.
Quelle: https://bfsg-gesetz.de/

Aber: Wenn das Kontaktformular dazu dient, eine spezifische Dienstleistung oder Beratung zu starten (z. B. für Terminbuchungen oder Angebotsanfragen), kann es als Teil einer «Dienstleistung unter dem Einsatz von Produkten» betrachtet werden und würde damit eher unter die Barrierefreiheitsanforderungen des EAA fallen.

Sie sehen: Die genaue Abgrenzung bietet Interpretationsspielraum. Daher gilt: Für die Klärung spezifischer rechtlicher Anliegen empfehlen wir die Konsultation eines qualifizierten Rechtsanwalts oder Rechtsanwältin.

Eine genaue Definition zum Begriff «Elektronischer Geschäftsverkehr» finden Sie hier.

Ist eine reine Informations-Seite auch vom EAA betroffen?

Eine reine Informations-Site ist in der Regel nicht vom EAA betroffen, wenn sie nur allgemeine Informationen über ein Unternehmen oder seine Produkte enthält und keine interaktiven Dienstleistungen oder Transaktionen anbietet (Beispiele dafür: nur Unternehmens-Visitenkarte, Produktbeschreibungen, News-Site, Blogs). Der EAA zielt auf digitale Produkte und Dienstleistungen ab, die den Nutzern eine direkte Funktionalität oder einen Mehrwert bieten, wie z. B. Online-Shops, Buchungsplattformen oder Self-Service-Terminals.

Falls die Informations-Seite jedoch Funktionen umfasst, die eine aktive Interaktion ermöglichen (z. B. Registrierung für Dienstleistungen, Kontoanmeldung, spezifische Kundeninformationen), könnte sie unter die EAA-Bestimmungen fallen und barrierefrei gestaltet werden müssen. Der Gesetzgeber sieht hier Spielraum, da nicht jede Website denselben Umfang an Interaktion und Funktionalität bietet.

Welche Anforderungen gelten für Weblösungen?

Die Anforderungen orientieren sich an den WCAG 2.1 Richtlinien (Web Content Accessibility Guidelines) auf Stufe AA, die eine breite Palette an Barrierefreiheitsstandards umfassen. Dazu gehören:

  • Textalternativen für Bilder (z. B. Alt-Tags),
  • Kontrastanforderungen für Lesbarkeit,
  • Tastaturzugänglichkeit (Navigation und Bedienung ohne Maus),
  • Unterstützung für Screenreader,
  • Einfache und klare Sprache,
  • Vorhersehbare Navigation und konsistente Seitenstrukturen.

Wie unterscheidet sich der EAA von der WCAG?

Der EAA ist eine gesetzliche Vorgabe, die auf europäischer Ebene Barrierefreiheit für bestimmte Produkte und Dienstleistungen erzwingt. Die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) hingegen sind allgemeine Empfehlungen für die Gestaltung barrierefreier Webinhalte. Der EAA verlangt die Umsetzung der WCAG 2.1 auf Stufe AA, um eine europaweit konsistente Barrierefreiheit sicherzustellen.

Gibt es spezielle Anforderungen für Online-Shops?

Auch beim Shop gilt es die WCAG 2.1 Richtlinien umzusetzen. Konkret bedeutet das, dass Online-Shops sicherstellen müssen, dass:

  • Produktbeschreibungen und Preise für Screenreader zugänglich sind,
  • der Kaufprozess von der Produktauswahl bis zur Kasse barrierefrei und mit Tastatur bedienbar ist,
  • Fehlermeldungen und Bestätigungen klar und verständlich dargestellt werden,
  • Kundendienstoptionen wie Kontaktformulare oder Chats ebenfalls barrierefrei sind.

Was müssen Unternehmen konkret tun, um ihre Websites und Apps barrierefrei zu gestalten?

Unternehmen sollten:

  1. Einen Accessibility-Audit durchführen, um bestehende Barrieren zu identifizieren,
  2. Design und Entwicklung anpassen (z. B. durch barrierefreien Gestaltung, semantischen Code),
  3. Testing mit Nutzern und/oder automatisierte Tools einsetzen, um Barrierefreiheit sicherzustellen,
  4. Schulungen für Mitarbeiter im Bereich Barrierefreiheit anbieten,
  5. Regelmässige Wartung und Aktualisierungen durchführen, um stets konform zu bleiben.
     

Warum ist der EAA auch für Unternehmen ausserhalb der EU relevant?

Auch Unternehmen ausserhalb der EU, die ihre Produkte oder Dienstleistungen in der EU anbieten, müssen sich an die EAA-Vorgaben halten.

Konkret sind dies:

  1. Dienstleister aller Art, 
  2. E-Commerce und Online-Shops, 
  3. Nachrichtenseiten mit Abo-Angebot, 
  4. Werbeplattformen, 
  5. Professionelle Dienstleistungen (z.B. Tourismusbüros, Verkehrsanbieter, Banken, Übersetzungsbüros, Werbeagenturen usw.), 
  6. Unterhaltungs- und Mediendienste, 
  7. Telekommunikationsdienstleistungen,
  8. Software-Anbieter in manchen Fällen, wenn bspw. ein Endbenutzer aus der EU ihr Interface zu sehen bekommt.

Oder einfacher ausgedrückt: Wer mit der EU Handel betreiben will, muss sich an die EAA halten.

Welche Ausnahmen gibt es?

Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, unter bestimmten Bedingungen Anpassungen oder zusätzliche Übergangsfristen für spezifische Dienstleistungen oder Unternehmen einzuführen. Zum Beispiel für besonders kleine Unternehmen oder technische Sonderfälle. Diese Anpassungen sind jedoch begrenzt und müssen der EU-Kommission gemeldet und begründet werden, um die einheitliche Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen innerhalb der EU zu gewährleisten.

Die wichtigsten Ausnahmen sind (nicht abschliessend):

  • Kleinstunternehmen: Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von weniger als 2 Millionen Euro sind von der EAA-Richtlinie ausgenommen.
  • Spezielle Nischenprodukte oder Software, deren Nutzung technisch komplex und nur von einem spezifischen Nutzerkreis erforderlich ist: Für Software oder Produkte, die ausschliesslich von Fachkräften mit speziellen Qualifikationen verwendet werden und nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind, gilt der EAA oft nicht.
  • B2B-Shops: Wenn klar ist, dass nicht an End-Verbraucher verkauft wird, sind solche Shops auch vom EAA ausgenommen. Quelle
  • Bei Online-Karten und Kartendiensten muss (nur) sichergestellt werden, dass wesentliche Informationen für Navigationszwecke in digitaler Form barrierefrei zugänglich bereitgestellt werden.
  • Unverhältnismässige Belastung: Das Prinzip der Unverhältnismässigkeit im EAA erlaubt es Unternehmen, Ausnahmen geltend zu machen, wenn die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen zu einer übermässigen Belastung führen würde. Hierbei können wirtschaftliche Faktoren und technische Einschränkungen berücksichtigt werden. Die Beweislast liegt beim Unternehmen, und die Ausnahme muss gut begründet sein. Der Grundsatz stellt sicher, dass Barrierefreiheit zwar gefördert wird, aber in einem wirtschaftlich tragbaren Rahmen bleibt.
  • Grundlegende Veränderung: Wenn die Anpassung zur Barrierefreiheit die grundlegende Natur eines Produkts oder einer Dienstleistung verändern würde, ist eine Ausnahme möglich. Diese Ausnahme greift nur, wenn die geforderte Änderung wesentliche Merkmale oder Funktionen beeinträchtigen würde und die Barrierefreiheit in diesem Kontext unverhältnismässig erschwert wäre. Die Entscheidung über eine solche Ausnahme bedarf einer genauen Abwägung und muss gut begründet sein.
  • Archive: Websites oder mobile Anwendungen, die nur archivierte Inhalte enthalten, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie veröffentlicht wurden und keine aktiven Dienstleistungen mehr bieten, sind von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen. Das Ziel dieser Ausnahme ist es, historischen Inhalt zu bewahren, ohne ihn nachträglich barrierefrei gestalten zu müssen, da dies oft aufwendige Anpassungen und unverhältnismässige Kosten bedeuten könnte.
  • Private Websites wie persönliche Blogs, die keine kommerziellen oder öffentlichen Dienstleistungen anbieten, sind vom European Accessibility Act nicht betroffen. 

 

Was passiert, wenn ein Unternehmen die EAA-Anforderungen nicht erfüllt?

Unternehmen, die die EAA-Anforderungen nach dem Stichtag im 2025 nicht einhalten, können in der EU mit Strafen und Sanktionen rechnen. Zudem könnte ein unzugänglicher Webauftritt zu Imageverlusten und verpassten Geschäftsmöglichkeiten führen.

In einzelnen Ländern werden Unternehmen von Beschaffungsvorgängen ausgeschlossen, wenn ihre Produkte und Dienstleistungen nicht barrierefrei sind.

Je nach Land können unterschiedlich hohe Bussen erteilt werden. In Deutschland sind das bis zu € 100'000 und in Österreich € 80'000.

Was sind die wichtigsten Vorteile der Einhaltung des EAA?

  • Grössere Zielgruppe und Marktchancen: Barrierefreiheit ermöglicht Menschen mit Behinderungen und älteren Nutzern den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen, wodurch sich das potenzielle Publikum erheblich vergrössert.
  • Verbesserte Usability für alle Nutzer: Barrierefreie Websites und Apps sind oft benutzerfreundlicher für alle. Klare Navigation, bessere Lesbarkeit und gut strukturierte Inhalte erhöhen die allgemeine Nutzerzufriedenheit.
  • Rechtskonformität und Minimierung von Risiken: Die Einhaltung der EAA-Vorgaben schützt Unternehmen vor rechtlichen Konsequenzen und Bussgeldern. Sie können so sicher sein, den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen.
  • Stärkung des Markenimages und Förderung sozialer Verantwortung: Unternehmen, die auf Inklusion setzen, positionieren sich als sozial engagiert und verantwortungsbewusst, was zu einem positiven Image und grösserem Vertrauen bei Kunden führen kann.
  • Optimierung für Suchmaschinen (SEO): Barrierefreie Inhalte, die auf klare Struktur und Alternativtexte setzen, werden auch von Suchmaschinen besser erfasst und bewertet, was die Sichtbarkeit in Suchergebnissen verbessern kann.
  • Zukunftssicherheit und Innovation: Barrierefreie Technologien und Design-Prinzipien fördern Innovationen und die Anpassungsfähigkeit an zukünftige gesetzliche Anforderungen und Trends.

Quellen

Wir haben Dutzende Blog-Beiträge und Websites konsultiert. Da viele davon zu oft Falschinformationen oder zu starke Vereinfachungen verbreiten, verzichten wir an dieser Stelle auf die Verlinkung auf diese Quellen. Stattdessen empfehlen wir im Zweifelsfalle immer die entsprechende Verordnung und das Gesetz zu konsultieren.

Über den Autor

Dominic Brander: Seit über 25 Jahren im Digitalgeschäft tätig. Nie stehen geblieben und immer gedanklich unterwegs. Als gelernter Geograph gerne «grenzüberschreitend» und über den Tellerrand guckend. Interessiert an Themen rund um die Digitalwirtschaft, Bierbrauen, (physische) Reisen und offene Lösungen.